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Einkehrtage für die Brasil. Bischöfe

Nationale Bischofskonferenz Brasiliens (CNBB)
32
. Generalversammlung
Itaicí – São Paulo, 13.-22. April 1994



EINKEHRTAG:
„Der Bischof als Verkünder in einer missionarischen Kirche“
(Pedro Casaldáliga)

Einführung:

Das Thema dieser Exerzitien ist „Der Bischof als Verkünder in einer missionarischen Kirche“eingebettet in das Hauptthema unserer diesjährigen Generalversammlung:
„Kirche in Brasilien: Herausforderungen und Protagonisten der missionarischen Tätigkeiten“.

Ich bedanke mich für die Gelegenheit, auf einem Einkehrtag sprechen zu dürfen. Das ist immer eine gute Gelegenheit, sich zu begegnen, nach vielem Aneinander-Vorbeilaufen. Wir haben einen Herrn, einen Glauben…, jedoch jeder von uns mit seinem eigenen Kopf und seiner eigenen Mitra. Exerzitien sind eine besondere Zeit der Kommunion.Ein Einkehrtag ist sozusagen ein Tag reflektierter Spiritualität; nicht ein Tag gescheiter Formulierungen; ein Tag des Miteinander, in Kommunion mit dem Lebendigen Gott, in Kommunion mit den Brüdern und Schwestern. Ich möchte einfach mit Euch ins Gespräch kommen und erlaube mir das „Du“ wegen der größeren Familiarität.Exerzitien können auch ein starker Moment der Bekehrung sein. Wir Bischöfe sind noch Sünder, und mit Sicherheit größere als andere. Wir müssen uns bekehren und umkehren. (Im übrigen ist die Mehrheit von uns schon alt, und viel Zeit steht uns nicht mehr bevor). Ich denke, dass die Mehrheit von uns die Worte des Hl. Thomas, des Dominikaners, nicht sehr ernst nehmen, der uns in einem „Stand der erreichten Vollkommenheit“ sieht. Der Hl. Thomas gehörte keiner Bischofskonferenz an, war auch nicht beratend tätig oder Sub-Sekretär unserer Konferenz… Heilig, wie er war, hatte er ein generöses Bedürfnis zu entschuldigen.In seinem berühmten Interview mit Jas Grawronski, dem Buschautor von „Das Europa von Johannes Paul II“, sagte der Papst erst kürzlich: „Wir müssen eine Gewissenserforschung machen, um zu sehen, wo wir uns vom Evangelium entfernen“. (Er, der Papst; wir, die Bischöfe; die Kirche als Ganze).

Die Richtschnur der Synode in Québec war: „Sich evangelisieren, um zu evangelisieren“. Zu allererst und immer: selbst evangelisiert werden; das Evangelium aufnehmen und leben, um kohärent und wirksam evangelisieren zu können.Ein spanischer Theologe, der unser Lateinamerika sehr gut kennt, J.I. González Faus, hat einmal unsere Revolutionäre gebeten, Revolution zu gestalten als Menschen, die mit sich selbst „im Reinen“ sind: ohne Hass, so denke ich; ohne Gewaltgehabe; sie müssen sich selbst als Menschen sehen mit der Notwendigkeit, in sich selbst zuerst Revolutionäre zu sein.Vielleicht wäre das die dringlichste Haltung für den, der evangelisieren will. Möge es die Frucht dieses Einkehrtages sein.

mit sich selbst im „Reinen“ sein, weil man sich als Sünder-, aber vor allem als Geliebten erfährt;immer weiter um Vergebung bitten, Tag für Tag, und fortwährend die Barmherzigkeit Gottes und die Frohe Botschaft Jesu Christi annehmen;sich selbst nicht als „Gerechten“ ansehen, besser als „diese Zöllner da“, die an der Tür oder außerhalb des Tempels stehen; oder als jene, die den älteren Bruder des „verlorenen Sohnes“ für den gerechteren halten;sich selbst sehen als Bruder und Weggefährten der übrigen Sünder und Sünderinnen, auch geliebt, gesucht auch von ein- und derselben unendlichen Barmherzigkeit.nicht ausgehen von Macht, nicht von Selbstgenügsamkeit, nicht vom Lehramt; ausgehen von Gnade und Unentgeltlichkeit…Kurz, die Revolution des Gottesreiches angehen als „Verziehene“, evangelisieren als Evangelisierte.
Der Geist des Auferstandenen, der uns für die Frohe Botschaft salbte, wird uns nicht verlassen, wenn wir mit ihm rechnen. Die vielen Brüder und Schwestern, die uns auf dieser Mission des Evangeliums vorausgingen, vielleicht sogar mit dem Zeugnis ihres Blutes, werden uns begleiten: diese „Wolke der Glaubenszeugen“, die uns umgibt in Kommunion, als pilgerndes Gottesvolk, und die Armen, die Kleinen, jene, die „Vergebung erfuhren“, werden uns den Weg lehren…

Wir wollen uns an unsere Mutter Maria wenden, Vertraute und Ratgeberin der Apostel, mütterliches Herz der Kirche Jesu. (Marienlied)
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Nationale Bischofskonferenz Brasiliens (CNBB)
32
. Generalversammlung
Itaicí – São Paulo, 13.-22. April 1994
Meditation: Der Bischof - Verkündiger des EvangeliumsDer Verkündiger des Evangeliums muss sich evangelisieren lassen, um glaubhaft zu sein und verkündigen zu können.
„Vom Wesen her Verkündigerin der Frohen Botschaft, muss die Kirche damit beginnen, sich selbst zu evangelisieren“ (EN 15 §1).
„Nur eine selbst evangelisierte Kirche ist fähig zu evangelisieren“ (DSD 23 §2).

Evangelisiert mit welchem Evangelium? Was ist das Evangelium? Wer ist das Evangelium und sein Verkündiger für uns? Was bedeutet, evangelisiert sein? Wie wird man evangelisiert?

Es ist so etwas wie eine Besessenheit in mir, wegen meiner eigenen Erfahrung -aktiv und passiv- in der Ausbildungszeit, durch die Art der Spiritualität, die uns gepredigt wurde und die wir routinemäßig in einigen Handbüchern lasen, jetzt darauf zu bestehen -bei mir und bei anderen-, das „geistliche Leben“ zu konzentrieren auf:eine fundamentale Optionund auf die Grundhaltungen.
In meinem Buch „Spiritualität der Befreiung“ (Ed. Vozes) geht es im 4. Artikel des dritten Kapitels um die „zentrale Botschaft des Reich Gottes“ (als eine Grundoption). Das Neue Testament legt Wert darauf zu betonen, dass es nur das „Evangelium Jesu Christi“ verkünden will… Das Wort „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde“ des Hl. Apostels Paulus könnte auch heißen: „Wehe mir, wenn ich ein anderes Evangelium verkünde“. Nur das Evangelium Jesu Christi macht uns zu Evangelisierten. Nur dieses Evangelium macht uns zu Verkündern.



Wir müssen das Evangelium verkünden durch Vorleben und Zeugnisgeben.
Im vorhergehenden Punkt 1 wollte ich letztlich nur sagen: Die Haltung Jesu einnehmen-, Jesus in diesen grundlegenden „Federstrichen“ seines historischen Lebens nachfolgen,- bedeutet evangelisieren mit dem eigenen Leben, „im Geist und in der Wahrheit“, ein wirkungsvolles Zeugnis des Evangeliums geben.

Ich möchte nur bestehen auf das Wichtigste, das Lebenszeugnis.
„Für die Kirche ist das Lebenszeugnis… das erste Mittel der Evangelisierung. Der heutige Mensch hört lieber auf ein Lebenszeugnis als auf einen „Meister“… oder aber, man hört auf die Meister, weil sie Zeugnis geben“ (EN 41). Und in der gleichen Nummer der apostolischen Exhorte ist die Rede vom „Zeugnis der Armut, der Selbstlosigkeit und der Freiheit gegenüber den Mächtigen dieser Welt“.
In der Nummer 186 unserer „Leitlinien“ bitten wir den „Katholiken“ allgemein, dass er nicht vergisst, dass „der Erfolg des Evangelisierens größtenteils abhängt von der Spiritualität und der Mystik dessen, der evangelisiert“. In den Nummern 5 und 6 beschreiben wir „das Evangelium“ als „das ganze Leben Jesu“ und definieren, dass „nur der evangelisiert, der den Weg Jesu annimmt und ihm folgt: Komm und folge mir“! Um ein wahrer Verkündiger der Frohen Botschaft zu sein, so schließen wir, ist es notwendig, vor allem anderen, sich selbst evangelisieren zu lassen“.
Weil wir sind, die wir sind, wird von uns das Evangelium deutlicher abverlangt. Die kirchliche Gemeinschaft und die Gesellschaft -Freund oder Feind- entbinden uns nicht von der Evangelisierung, dieser zeugnisgebenden Evangelisierung.

Der stärkste Gegensatz zum Zeugnisgeben vom Evangelium ist der Skandal, vor allem der Skandal der „Professionellen“ der Evangelisierung. Wir können durch unser Leben schnell zum Anti-Evangelium werden:
durch unsere Haltungen, unsere menschlichen Beziehungen, unsere Unterlassungen; durch unsere Güter, unseren Status, und durch unsere Art, wie wir -sozusagen „offiziell“- die Kirche Jesu „repräsentieren“.

Und weil wir doch gar nicht so schlecht sind, wenn auch nicht ganz so heilig, ist der normale Skandal, den wir begehen, was die Evangelisierung angeht, die alte „Lauheit“, die Bequemlichkeit.
Eine Lauheit, die Mensch und Gott abstößt: „So aber, weil du lau bist…, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Apok 3,16)
(Es wäre im übrigen angebracht, die sieben Briefe der Apokalypse an die Kirchen neu zu durchdenken, weil sie unsere eigenen Kirchen hinterfragen bezüglich des Zwecks oder der Untreue zur „ersten Liebe“ der Kirche von Ephesus (2,4).

Diese „Lauheit“ ist natürlich das Gegenteil vom „neuen Entflammen“ unseres missionarischen Geistes, von dem wir in unseren eigenen Leitlinien sprechen.
Diese „Lauheit“ kann sich verstecken hinter „Routine“, hinter Tradition, „Beamtendasein“ oder Mutlosigkeit. Und unsere Gemeinden, besonders die Jugend, verlangen von uns Begeisterung, Schwingung, Mystik, Leidenschaft; Fähigkeit zum Umdenken, zum Erneuern, Ansteckungskraft, Hoffnungszeugnis, inklusive Humor, Gute Nachricht einfach!
Wir sind nur Evangelium, wenn wir in Wort und Tat Gute Nachricht sind – der Vergebung, des Erbarmens, des Lebens, der Freiheit, des Friedens.
Immer hat mich Nietzche mit seinem Wort an die Christen beeindruckt:
Zeigt in euren Gesichtern, dass ihr an den Auferstandenen glaubt!

Fünf Aspekte und zwölf Eigenschaften dieses evangelisierenden Lebens:
Vielleicht lässt sich dieses evangelisierende Leben zusammenfassen in fünf größeren Aspekten, nach ihrer Auswirkung bei der Evangelisierung, hauptsächlich verstanden als Sendung und Zeugnisgeben (Apg. 1,8):Das Leben aus dem Glauben (alltäglich, aufgeschlossen, konsequent);Die Praxis des Gebetes (persönlich, gemeinschaftlich, mit dem Volk);Die Armut und die Einfachheit (sichtbar, diese Armut, in gutem Maße) in unseren Personen und in unseren Strukturen und Einrichtungen;Die Fähigkeit zum Gehör schenken und Annehmen, zum Verstehen und zum Dialog (vor allem mit den Fernstehenden, mit der Jugend, mit allen so „anderen“ Männern und Frauen, in der großen Herausforderung eines Inkulturierens, in einer engagierten Ökumene);Die soziale, befreiende Selbstverpflichtung (durch prophetisches Auftreten, durch Übernahme aller Fälle und Lebenskämpfe der Armen und Unterdrückten als die eigenen, in einer wirkungsvollen Solidarität, in der Verteidigung der Menschenrechte, Im Miteinander-Teilen von Zeit und Gütern (manchmal auch Haus und Wohnung), im aktiven Beitragen immer von Gerechtigkeit und Frieden.
Einmal fragte man mich nach den „Eigenschaften“, die für mich am notwendigsten seien für die „Neue Evangelisierung“. Ich schlug die folgenden vor, und damit komme ich zum Ende dieser miteinander geteilten Meditation:

Das Evangelium, das auf uns zukommt, in die Arme schließen und sich von ihm bekehren lassen.Keinen Schatten auf das Evangelium werfen, nicht durch die eigene Kultur, nicht durch den eigenen Protagonismus, nicht durch die eigene Angst.Das Evangelium mit dem ganzen Leben verkünden; Zeuge und Anhänger des großen treuen Zeugen sein und so vieler Lebenszeugen von Schwestern und Brüdern.Das Evangelium in kirchlicher Gemeinschaft praktizieren, zelebrieren und verkünden.Wie Jesus es wollte: die Frohe Botschaft ausgießen wie Salz, Sauerteig, Licht Same, auf jede Gesellschaft, in jede Person, in jeden Lebenskampf, in jede Hoffnung hinein.Immer daran denken, dass Gott ein größeres Evangelium ist als das uns vorliegende aufgeschriebene. Dieses Evangelium weitergeben, mit Feingefühl, so wie jemand, der einen Kuss Gottes weitergibt.Nie vergessen, dass das Evangelium das Kreuz mit sich trägt.Wahr werden lassen, so wie Jesus, dass das Evangelium den Armen gehört, damit es für alle erkennbar wird. Das Evangelium beten. Das Evangelium schweigen in schweigendem Dank und Selbstlosigkeit. Das Evangelium tun mit prophetischen Zeichen.Alle um das Evangelium herum zusammenrufen und viele Jünger und Jüngerinnen für Jesus gewinnen.Das Evangelium herausschreien mit der einzigen neuen Weltordnung, die fähig ist, uns alle zu Brüdern und Schwestern in einer menschlichen Welt zu machen.Warten können, mit österlicher Halsstarrigkeit, auf die endgültige Frohe Botschaft dessen, Dr da kommt.----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------



Nationale Bischofskonferenz Brasiliens (CNBB)
32
. Generalversammlung
Itaicí – São Paulo, 13.-22. April 1994
Meditation: Evangelisierung in einer Missionskirche
Zu sagen, dass die Kirche wesentlich eine evangelisierende- oder Missionskirche ist, gehört zu unserem Glauben. Und das Zweite Vatikanische Konzil hat uns neu daran erinnert. Ich werde also nicht versuchen, das Einleuchtende weiter zu erklären…
Ich möchte mit Euch, Schwestern und Brüder, lediglich vier Grundgedanken teilen, die mich beschäftigen bei dem angekündigten Thema:

Evangelisieren mit der richtigen Sprache.
In der ersten Meditation sprachen wir über en Geist und den Geist des Evangelisierens. Jetzt geht es um die Art, die Vermittlung.
So wie jeder Evangelist, mit seiner je eigenen Gemeinde, sein Evangelium von Jesus schrieb, so muss jede Kirche das einzige Evangelium von immer verkünden, jedoch innerhalb des historischen, kulturellen und sozialen Kontextes, in welchem sie lebt.

Die Zeichen der Zeit und die Zeichen des Ortes bestimmen und befruchten die Evangelisierung. Diese „Lage“ -wie es unsere Brüder des Kontinentes bezeichnen- ist Teil des Heil-Prozesses des Mysteriums der Menschwerdung selbst. Und die große Herausforderung, sich und die Verkündigung zu inkulturieren, sowie der Wille -neu, sehr neu!- , diese Herausforderung zu meistern, hinterfragen unsere Evangelisierungsmethoden und können sie sogar revolutionieren. Was die Inkulturation angeht, müssen wir alle anerkennen, dass es noch ein Stottern ist. Das Gleichnis vom Sämann ist bereits vom Meister selbst erklärt und interpretiert. Aber vielleicht kann man noch mehr hineinlegen. Vielleicht fallen die Samen, die wir säen, auf harten Boden, werden von der Sonne verbrannt oder unter die Dornen… Beim göttlichen Sämann gibt es keine Probleme, was ihn angeht. Bei uns so begrenzt menschlichen Sämännern und -Frauen kann es viele Fehler geben.

Die Kirche als Ganze, jede Ortskirche, jede kirchliche Gemeinde sollte evangelisierendes Potential haben, wenn wir wirklich glauben, dass die Kirche Sakrament des Heils ist, Ambiente oder Habitat des Evangeliums, Struktur der Evangelisierung, kollektiver missionarischer Dienst. Und aufgepasst hierbei in den Details!Alles, was uns als Kirche erscheinen lässt, ist notwendigerweise evangelisierend oder kontra-evangelisierend. Das Zeugnis, wie bereits gesagt, ist nicht nur individuell, es ist auch kollektiv; es ist nicht nur der Menschen, sondern auch der Dinge und Strukturen.Und die Struktur, die wir am wenigsten gut beherrschen und ausüben, ist die der „Sprache“, verstanden als globale Dimension: die Kommunikation.Bei der Predigt,Bei unseren Schriften (bestimmte Pastoralbriefe, die weder pastoral noch Briefe sind)In den Kommunikationsmedien, den eigenen oder öffentlichen (gewisse Diözesanzeitungen, die nur langweilen, schon beim ersten Hinschauen)Bei den liturgischen Feiern (Gebrauch oder Nicht-Gebrauch von Symbolen, Bildern, Gesten, Musik)Bei persönlichen Begegnungen (möglich, dass dies das wirkungsvollste Kommunikationsmittel ist und gerade deshalb das wirkungsvollste Mittel der Evangelisierung).
… Diese „Mittel“ sind heute „die Dächer“, von denen Jesus spricht. Von diesen Dächern sollen wir das Evangelium in die Welt hinausschreien.

Der Neue Katechismus sagt, dass „die Lehre von der Erbschuld das Gegenteil ist von der Lehre der Frohen Botschaft“ (CIC 389). Erweitern wir das Verständnis und lasst uns sprechen von der „strukturellen Sünde“, von der bereits so viel gesprochen wurde in unseren lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellin, Puebla und Santo Domingo, und die immer wieder Papst Johannes Paul II verurteilte.Ich glaube, wir alle fragen uns oft verängstigt: wie kann man „evangelisieren innerhalb dieser sündhaften Struktur, die uns umgibt als Ungerechtigkeit, als zunehmende Ausgrenzung, als Elend, Hunger, Gewalt, Egoismus, Begierde, Korruption, Hoffnungslosigkeit, Verwüstung, Indifferenz, „Müde-geworden-sein der Guten“, Komplexität von Schuld und Angst…?

„Die Gefangenen befreien, den Blinden das Augenlicht zurückgeben, die Ketten zerreißen“ –hat etwas zu tun mit dieser „Evangelisierung des Bösen“. Es gelte das Wort.

In diesem Schlamm und Blut steckt unser Volk und da müssen auch unsere Kirchen sein, um „in der Welt“ zu sein.
Ich habe keine Lösungen, nein; aber wir alle haben vor unseren Augen des Glaubens die Lebenspraxis Jesu während seiner irdischen Existenz, seine ganz und gar befreiende Pastoral.
Gewiss die erste-, die am meisten evangelien-gemäße Haltung gegenüber dieser Herausforderung ist die Barmherzigkeit des Samaritaners, des Guten Hirten, des Gekreuzigten unter Randgruppen. Eine Barmherzigkeit, welche uns die angemessene Art geben- und den rechten Ton schenken wird.
Das Evangelium wird nicht auferlegt, es bietet sich an, ist keine Drohung, ist Gute Nachricht. Gott verpflichtet nicht, er macht sich zum Geschenk. Manchmal sieht es so aus, als würden wir nicht einmal mit der freien Tat Gottes rechnen, ebenso wenig mit der Freiheit der menschlichen Person.
Wir können niemanden zur Bekehrung „zwingen“. Wir sollten dazu be-geist-ern.
Auch können wir nicht die Gewissen oder die Berufungen manipulieren.
Wir können nicht den Eifer verwechseln mit Eifersucht, die Evangelisierung mit dem Kreuzzug. Achtung, um nicht in fanatischen Bekehrungseifer zu verfallen, den wir bei den anderen verurteilen.

Was das angeht, werden wir versuchen müssen, immer die Prophetie mit der Barmherzigkeit auszugleichen (so dass die Prophetie schon „Tröstung“ ist, wie im Leben der Propheten Israels und vor allem im Leben Jesu), die Wahrheit mit dem Pluralismus zusammen zu bringen, auch in der Theologie, die (christlich-katholische) Identität zu bewahren und zu retten mit jener Leidenschaft, die der testamentarischen Bitte Jesu -dass alle eins seien- würdig ist: die Ökumene und sogar die Macro-ökumene, weil Gott immer größer ist und wir ihm nicht den Arm oder das Herz beschneiden können.
In einer Zeit, in der die Verweltlichung der Ökonomie jede menschliche Sensibilität verloren hat und den Ausschluss der Mehrheit der Menschen diktiert, und wenn die Gesellschaft komplett die Kontrolle über die Massaker und Hinrichtungen verliert, hat die Kirche Jesu sich zu beweisen als jene öffentliche Geste, unermüdlich, die nicht den noch glimmenden Docht ganz auslischt oder den geknickten Halm bricht. (Unsere Brüder Dom Aloisio Lorscheider, Dom Edmilson und Dom Geraldo haben uns in diesen Tagen erst ein Zeugnis dieser Barmherzigkeit eines Hirten gegeben). Mehr als zuvor hat die Kirche zu sein- und in der Welt zu sein, wie ihr Gründer, damit alle das Leben haben, und Leben in Fülle.

Noch eine Bemerkung. Unser aller Erfahrung hat das bereits öfter als einmal beklagt und wir mussten es auch des öfteren schon bereuen. Bei allen pastoralen Programmen, bei der „Verwaltung“ (erlaubt mir das Wort) der Sakramente, fehlt manchmal Verständnis, Realismus. Mit mehr Barmherzigkeit, mehr Verständnis eines Hirten, würden wir vom Volk nicht eine Integration und Einheit verlangen, welche die soziale Differenziertheit und Desintegration wirklich nicht hergibt. Wir würden besser umgehen, wie Jesus, mit „Leprosen“, mit „Zöllnern und Sündern“, mit „Prostituierten“ von heute… Von unseren Gemeinden würden wir nicht einmal Zeit und Disponibilität verlangen, die wir selbst nicht fähig wären zu geben, wenn wir so wie sie den Lebenskampf zu bestehen- und für das tägliche Überleben mit der Familie im Rücken zu kämpfen hätten. Wir sind freigestellt und haben Brot und Salz garantiert!

Das Evangelium ist absolut, das Evangelisieren in allen Formen muss relativ bleiben. Das Evangelium ist immer Frohe Botschaft, unser Evangelisieren nicht immer.





Evangelisieren im Geist der Option für die Armen
Einige von uns fragen sich jetzt, nachdem gewisse Utopien gefallen sind und ideologische oder theologische Kämpfe sich aufgelöst haben:Wie steht es um die Option für die Armen?So als wäre diese Zeit schon abgehakt. Und einige behaupten bereits, müde geworden zu sein vom
vielen Reden über „Option für die Armen“, „Option für die Armen“… Fragen wir uns, ob die Armen nicht noch müder geworden sind, arm zu sein.
Die Antwort lautet: es bleiben die Armen, es bleibt das Evangelium und es bleibt der Gott der Armen. Solange es das Evangelium Jesu geben wird und Arme, und jemand, der Jesus nachfolgen will, solange gibt es die Option für die Armen.
Wir haben in unsere Generaldirektive zur „Option für die Armen“, zur „vorrangigen Option für die Armen“, das Wort „evangelientreu“ hinzugefügt. In der Tat ist „evangelientreu“ wesenhaft, substantiell, weil diese Option aus dem Wesen des Evangeliums kommt. Sie ist „die“ Option des Messias Jesus, ist „die“ Option des Gottes der Bibel, ist Substanz der Offenbarung.
Die wahre Evangelisierung also ist und wird immer bleiben, „den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden“ (Lk 4,18).
Diese Option kann nicht an zweiter Stelle stehen, sie kann auch durch keine andere Option ersetzt werden.
Man könnte denken etwa an eine Option für die Kulturen, verstanden als allgemeine Herausforderung. Es würde bedeuten, das Unersetzbare zu ersetzen, einerseits, und andererseits zu ignorieren, dass die Kulturen die in der Mehrheit von uns eine inkulturierte Evangelisierung verlangen, sind Kulturen mit der großen Mehrheit von Armen und Ausgegrenzten: die indigenen Völker, die schwarzen Völker, die Landbevölkerungen oder die Vorstädte mit ihren Slum-Bewohnern.
Gustav Gutiérrez nennt sein großes neues Buch über Bartolomé de las Casas:
„Auf der Suche nach den Armen Jesu Christi“. Das war ein Ausdruck des christlichen Indio Guamán Poma, der dem heldenhaften Dominikaner zum Sinnspruch seines Lebens wurde. Bartolomé de las Casa sah als erster in den Indigenen Völker die „Armen“ und die „Anderen“ und erkannte in ihnen, dem Evangelium treu, „die Bevorzugten Gottes“ und „der ausgepeitschte Christus heute“ .
Das ist die Weiterführung und Vervollständigung der Bischofsgeneralversammlung von Sto. Domingo nach Medellin und Puebla: mit der Option für die Armen immer, jetzt mit der Inkulturation, immer mehr.
Wir, Bischöfe Lateinamerikas, müssen Gott dankbar sein, dass das Programm Jesu (Lk 4,14-21) zum Leitmotiv der lateinamerikanischen Pastoral geworden ist. Die Armen selbst als erste, unsere Theologen, Pastoralarbeiter, die Dokumente unserer kontinentalen Versammlungen, Ansprachen des Papstes hier unter uns und die liturgischen Feiern und die Praxis unserer (Basis-) Gemeinden machten diese Lukasverse
-messianische Predigt Jesu- zu einer Pflichtreferenz, zu einem Familienlied, zu einem Kriterium der Authentizität für unser apostolisches Amt und unsere Kirchen.
Puebla in seinem Dokument Nr. 1142 zieht folgenden Schluss: „Die ersten Adressaten der Mission sind die Armen, und ihnen Frohe Botschaft zu bringen ist Zeichen und Beweis der Sendung Jesu“.

So weit, so gut. Grundsätzlich sind wir alle damit einverstanden. Wir werden jedoch nervöser, wenn es darum geht, hieraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen, indem diese Option notwendigerweise ein soziales und politisches Handeln nach sich zieht, denn das „Leben in Fülle“ hat auch was zu tun mit dem privaten und sozialen Leben schon in dieser Welt.
Die Synode 1971gibt uns den Schlüssel und den Auftrag: „Das Handeln zugunsten der Gerechtigkeit und der Beitrag zur Veränderung der Welt erscheinen uns eindeutig als eine wesentliche Dimension der Verkündigung des Evangeliums oder der Sendung der Kirche zur Erlösung der Menschheit und zur Befreiung aus allen Unterdrücker-Strukturen“. (Einleitung)
Alle Mobilisierungen sozialer Wochen, die spezifischen Pastoralaktionen und Volksbewegungen mit ihren verschiedenen Manifestationen bedeuten auch schon Evangelisierung. Sie gehören zu diesen „wesentlichen Dimensionen“.
Mehr will ich dazu nicht sagen. Was ich noch betonen möchte -wegen dieser unwiderruflichen Option für die Armen- ist, dass die Zahl der Armen gestiegen ist und dass sie heute ärmer sind als in den Jahren von Medellin und Puebla, als die Option die große „Neuigkeit“ wurde. Sie sind heute mehr systematisch in die Armut getrieben; sie sind nicht nur (!) unterdrückt und ausgebeutet: sie werden ignoriert, ausgeschlossen. Damals sagten uns die Theologen, dass diese Armen „keine Personen“ seien in dem dominanten System; heute „gibt es“ sie nicht, sie existieren nicht.
Ihre Gesichter jedoch sind uns sehr bekannt, seit Puebla und in einer der Nummern von Santo Domingo, wo es heißt: „In den leidenden Gesichtern der Armen das Gesicht des Herrn erkennen (Mt 25,31-46) ist etwas, das alle Christen herausfordert zu einer tiefen persönlichen und kirchlichen Umkehr“.
(Nr. 178)
Was sollen wir tun mit dieser unendlichen Menschenmenge ohne Hirten und ohne Brot und ohne Hoffnung, deren Gesichter jedoch das Gesicht Christi sind? Das ist die Herausforderung.
Unser (Bischofs-) Bruder Paulo Ponte, in seinem Brief über die letzten Vorbereitungen des großen Basisgemeindetreffens in seiner Diözese (mit dem Thema: „Basisgemeinden und die Menschenmassen“), weist uns alle darauf hin, dass die größte Herausforderung dieses ausgehenden Jahrhunderts ist, dass die anwachsenden Massen von Menschen, die aus der modernen Gesellschaft ausgeschlossen sind, teilhaben können an den messianischen Gütern: Leben, Hoffnung, Liebe und Frieden –Zeichen für sie, dass das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit kommen.
Die Fastenaktion des nächsten Jahres (1995) -als Antwort auf diese „größte Herausforderung“- wird zum Thema haben: die „Ausgeschlossenen“.
Auch die zweite „Soziale Woche“ Brasiliens übernimmt eine prophetische Selbstverpflichtung
-„denunzierend, verkündigend und sich engagierend“- „ausgehend von der Option für die großen ausgeschlossenen Mehrheiten“ der Menschen (Arbeitsinstrument, Einführung)
Den systematischen Grund dieser wachsenden, tragischen Realität weltweit, kennen wir. Wir kennen seinen Namen und kennen sein Programm, seine Philosophie und oft auch seine Theologie –Idolatrie auch.
Dieses strukturierte Übel müssen wir „evangelisieren“!
Wir, Schwestern, Brüder, aus Humanität und aus Glauben und wegen unseres Missionsauftrages, dürfen niemals unsere Zustimmung zu der alten Rechtfertigung (die heute noch viel getarnter daherkommt) geben: „Ohne Sklaven kein Zucker, und ohne Zucker kein Brasilien“ oder -heute etwa- „Ohne den totalen Markt, ohne den globalen Neoliberalismus, keine Modernisierung“…
Das Reich Gottes hat andere Kriterien, etwas anderes ist die Rechtfertigung des Evangeliums!
Mein Ordensbruder José Maria Vigil schreibt folgende harte aber wahre Feststellung, indem er auf einen unglücklichen Satz im Vorbereitungsdokument Bezug nimmt, darin heißt es :
„Niemals hat sich die Kirche damals entschieden gegen die Versklavung der Schwarzen gestellt. Wahrscheinlich konnte sie selbst, in einer Zeit der Dekadenz, gar nicht all den Mächten der westlichen Welt die Stirn bieten…“ „Natürlich hätte die Kirche es können, mit der Kraft des Geistes“, so Vigil weiter. Und wir könnten auch hinzufügen: wenn wir nicht fähig sind, diesem globalen System des Ausschlusses und der Tötung die Stirn zu bieten, wird der Grund dafür ganz klar sein: weil wir in einer „kirchlichen Dekadenz“ stecken und weil wir nicht auf die Kraft des Geistes bauen.
Wehe uns, wenn wir nicht inmitten dieses neoliberalen Chaos evangelisieren!



Evangelisieren in Kirche, gemeinschaftlich, in erwachsener Mitverantwortung
Der Bischof in seiner Ortskirche und die Bischofskonferenz als ein nationaler Block der Hirtensorge
müssen-, wir alle müssen die Animateure dieser Evangelisierung sein, in jeder Diözese und im ganzen Land. Von unserem aus dem Evangelium genährten Leben und von unserer evangelisierenden Praxis wird zweifelsohne zum großen Teil die evangelisierende und missionarische Kraft unserer Ortskirchen und des ganzen christlichen Brasiliens abhängen.
Wenn es Sendung der Kirche ist zu evangelisieren, ist d a s die Sendung des Bischofs.
Dennoch, wir- und das ganze christliche Volk verstehen es jetzt schon besser, dass wir, die Bischöfe,
nicht „die“ Kirche sind. Journalisten und Politiker haben noch verbreitet dieses Verständnis von Kirche.
Leider, durch die Jahrhunderte, in Wort und Tat, gaben wir allen Grund, sie so zu sehen und zu verstehen.
Wir sind nicht alleine in der Kirche, auch können wir nicht allein evangelisieren. Die Protagonisten
der Mission, die Verkünder des Evangeliums, sind wir alle als Getaufte, Frauen und Männer. Die verschiedenen Ministerien geben einem jeden und einer jeden den Freiraum, die Art und in gewisser Hinsicht das Maß der missionarischen Mitverantwortung. Aber Evangelisieren, wirkungsvoll, geht nur im Team, in Gemeinschaft, in Kirche.
Wir werden nur wirksam evangelisieren können, wenn es uns gelingt, eine Mitverantwortung unter
Erwachsenen, kreativ, „unserer“ Priester, Ordensleute und Laien zu respektieren und zu fördern. (Sie sind nicht „unsere“, sondern Gottes und seines Reiches).
Wir werden nur wirksam evangelisieren können in dem Maße, wie wir allen, Männern und Frauen,
Eigenverantwortung ermöglichen, so dass sie sich in Kirche als Subjekte einbringen können, in eine aktive Mission, als wahre und qualifizierte Zeugen des Evangeliums.
Allzu verführerisch für uns Bischöfe, dass wir uns als selbstgefällige Hierarchen sehen und Priester,
Ordensleute und Laien als unsere „Hilfskräfte“, als unseren „verlängerten Arm“ für die Evangelisierung, als „abgezweigte Sektoren“ der Evangelisierung… Vielleicht entspricht dieses bischöfliche Bewusstsein oder Unterbewusstsein nicht der besten Theologie der Evangelisierung und der Mission der Kirche.
Alle Getauften, Männer und Frauen, sind Gesandte des Gesandten. Priester, Propheten und Könige durch die Eingliederung in den Priester-Propheten-König Jesus. Die große Übertragung ist die Taufe/Firmung. Und dabei verneine ich nicht unseren bischöflichen Dienst, ebenso wenig die kanonisch-pastorale Struktur der Kirche.
Ich denke, in dieser bunt schillernden und bekehrten Vision liegt das Geheimnis für Ausbildung, Ansporn, Begleitung und geschwisterliche Mitverantwortung, in der wir (in einem Prozess wachsender Mitverantwortung und Kirche-Sein) den priesterlichen Dienst, die verschiedenen Dienste der Ordensleute und der Männer und Frauen als Laien sehen sollten –in einer „ganz und gar ministerialen Kirche“. (vgl. COMLA V) Darin eingebettet das Geheimnis für die harte Herausforderung der Ausbildung zukünftiger Priester. Und noch etwas, die Motivation, die wir geben sollten, geschichtlich begründet, dem Evangelium entsprechend -für Reformgedanken immer, wenn nötig, in unserer Strukturen, in Diözese, Region, CNBB (brasilianische Bischofskonferenz) oder in der römischen Kurie. Und von da ausgehend eine kritische und selbstkritische Art in der Begleitung der Basisgemeinden, der spezifischen Pastorallinien, der Bewegungen…
Ich muss zugeben, dass ich persönlich den Eindruck habe, dass wir nicht ausgebildet wurden im Geist dieser Mitverantwortung erwachsener Menschen, und dass wir deswegen nicht die Mitverantwortung der anderen, Männer, Frauen, zu respektieren und zu fördern wissen.

Evangelisieren in missionarischer Solidarität
Wir sind Bischöfe „der“ Kirche und sind Bischöfe „einer“ Kirche. Und die größte
kulturelle und historische Einwurzelung in der eigenen Ortskirche -sein Volk, seine
Umstände- wird es uns ermöglichen, wie ganz natürlich beizutragen zur Katholizität der Kirche, die geschieht in der Pluralität und in der Inkulturation der Ortskirchen.
Der deutsche Dichter Heine sagte einmal, dass ein Dichter um so besser international
singt, je besser er in den Zweigen des eigenen Stammbaumes singt. Seit der Konferenz von Santo Domingo jedenfalls können wir uns die Inkulturation nicht mehr vorstellen als eine gefährliche Entgleisung für die katholische Einheit, sondern vielmehr als Verwirklichung und Probe dieser Katholizität –eine und vielfältig.
Die „Sorge um alle Kirchen“, um an ein Wort des Hl. Paulus, des großen Apostels der
Katholizität, anzulehnen, muss uns in Fleisch und Blut übergehen, denn wir sind keine Sekte. Auch wollen wir uns nicht isolieren und nichts sei uns fremd, wenn es um Kirche geht.
In Einheit mit allen anderen Bischöfen und mit dem Papst, in Einheit mit allen Kirchen, müssen wir offen bleiben für die ganze Kirche, unseren Beitrag leisten für die „ecclesia“, für die „Oikoumene“. . Unsere Mitverantwortung, unsere Kollegialität, müssen in eine kirchliche Solidarität münden. Die Einheit, die wir so oft proklamieren, sogar angstvoll, so dass wir berechtigten Pluralismus und die Freiheit der Kinder Gottes und der Kirche des Gottes Jesu behindern, -wir müssen sie aufbauen vor allem in dieser Solidarität, im Dazu-Stehen. Eine dynamische Einheit, eine Communio des Dienens, ein Austausch de Gaben.
Und hier wird jede Ortskirche, entsprechend ihren konkreten Möglichkeiten und einzelnen Charismen, die Art und Weise sehen, wie diese solidarische Communio unter den Kirchen, dieses untereinander Evangelisieren, als gegenseitiges Sich-Bereichern, Form annimmt.
Der Erfahrungsaustausch unter Schwester-Kirchen muss weitergehen, gelegentlich mit Korrekturen. Weitergehen muss eine fortschreitendes Zusammenleben der Ordensleute in den verelendeten Peripherien, am Rand, an den Fronten. Die römische Kongregation für den Klerus veröffentlicht soeben einen Aufruf an uns, mit Blick auf die „Zusammenarbeit der Ortskirchen untereinander und speziell für eine bessere Verteilung des Klerus“.
Santo Domingo rief die lateinamerikanische Kirche zum evangelischen Abenteuer der Mission ohne Grenzen auf.
Je mehr sich eine Kirche gibt, um so mehr ist sie.
Es wird gesagt, es gebe heutzutage eine große Versuchung, ja sogar eine Sünde, dass nämlich allgemein der junge Klerus, Diözesan- oder Ordensklerus, sogar die frisch Geweihten, es vorziehen, in den Stadtzentren zu bleiben und für sich eine gut ausgestattete Pfarrei einfordern, eine Gemeinde mit reichen Spendern, möglichst nahe bei Familie und bekannten Clubs, ohne jegliches Gespür für missionarische Dringlichkeit… Das wäre eine Verneinung der Jugend und ein Abwürgen der Evangelisierung!
Als Bischöfe Brasiliens -und eines lateinamerikanischen Landes, in vielerlei Hinsicht das größte unter den lateinamerikanischen Ländern- sind wir besonders der Kirche und dem Volk oder den Völkern Lateinamerikas verpflichtet. Und verzeiht, wenn ich ganz unter Brüdern mal mein Herz ausschütte. Mir kam es immer so vor, als seien die Brasilianerinnen und Brasilianer, darunter auch die Bischöfe, als Volk und als Kirche, -wir alle- wenig Lateinamerikaner. Zweifelsohne haben uns in den vergangenen Jahrzehnten die Militärdiktaturen, das Exil und die vielen Märtyrer, Solidaritäts- und kulturelle Begegnungen, die Bischofskonferenzen von Medellin, Puebla und Santo Domingo… all das hat uns ein wenig mehr lateinamerikanisiert. Aber wir haben noch eine lange Wegesstrecke vor uns.
Gelegentlich sagte ich hier bereits, dass die lateinamerikanische Idee nichts mit Romantik von Dichtern und Sängern zu tu hat, ebenso wenig wie mit dem Fanatismus von Linken. So wie ich das sehe, wäre es eine geschichtlich-kulturelle „Tugend“, eine Verpflichtung zur ganz und gar „unseren“ Spiritualität.
„Wir sind ein Kontinent in Unterdrückung und Abhängigkeit. So müssen wir jetzt auch ein Kontinent in Befreiung und Selbstbestimmung, in sozialer, politischer und kirchlicher Alternative sein.
Ich fühle die „Lateinamerikanität“ als eine Art zu sein, die das neue angehäufte Bewusstsein -von unterdrückten Nachbarvölkern in einem gemeinsamen Prozess der Befreiung- ermöglicht und von uns einfordert. Eine Art der Sicht der Dinge, eine Art des Miteinander-Teilens, eine Art der Zukunftsgestaltung… Eine Art gleicher geopolitisch-spirituellen Herkunft, welche uns gemeinsam aufbrechen macht, gemeinsam kämpfen, gemeinsam ankommen. Es geht über eine reine geografische Referenz weit hinaus: wir haben eine gemeinsame Geschichte, eine vitale Grundhaltung, eine kollektive Entscheidung“. (Espiritualidade da libertação, S. 58)
Die Globalisierung der Ökonomie und der Kommunikation fordert von uns, jeden Tag mehr, eine Globalisierung des Missionsauftrages. Und die Kontinentalisierung von Politik, von Elend, von Entrüstung und Empörung, fordert von uns, jeden Tag mehr, die Kontinentalisierung der Evangelisierung. Santo Domingo war eine Bestätigung dieser kirchlichen „Lateinamerikanität“, ganz gewiss auch zum Nutzen der Weltkirche.
Der CELAM (Zusammenschluss der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen) war schon eine große vorausgehende (1955?) Intuition und muss weiterhin und immer mehr auf Kontinentalebene ein Ort des Dialogs, des gegenseitigen Austauschens, des Miteinander-Teilens und des Ansporns bleiben, mit einer inkulturierten und prophetischen Evangelisierung unseres Großen Vaterlandes. Ebenso muss es der CLAR (Zusammenschluss aller religiösen Orden) sein für das konkrete Ordensleben.

Zum Schluss rufe ich zur Mutter… Sie beginnt die Geschichte ihrer evangelisierenden Präsenz unter uns mit der großen Geste einer Evangelisierung der Armen -Juan Diego in Mexico- (der damalige Bischof Zumárraga tritt in den Hintergrund) und macht die eindeutige Option für eine Inkulturation bei den Indigenen und Mestizen vom Tepeyac.
In der „Messe vom Land ohne Übel“ singen wir:

„Schwarzbraunes Mädchen von Guadalupe,
Maria vom Tepeyac,
versammle alle Indigenen Völker
in der Pupille deines Blickes,
Rufe zusammen die Völker Amerikas,
in der Sehnsucht nach Auferstehung“.